Kommunismus trotz allem – oder gerade deshalb?Dass es inmitten einer vielfach beschworenen Krise des Kapitalismus verstärkt zu Diskussionen über mögliche Alternativen kommt, überrascht ebenso wenig wie die Tatsache, dass dies eine Auseinandersetzung mit dem Kommunismus impliziert. Undifferenziertes Schwarz-Weiß-Denken und (wahre oder vermeintliche) historische Siege und Niederlagen hin oder her: das ideologische Jahrhundertduell zwischen Kapitalismus und Kommunismus prägt die politischen Denkmöglichkeiten der Moderne zu sehr, um nicht unmittelbar aufzulodern, wenn die Zeiten dafür reif sind. Freilich wird mit dem Begriff des Kommunismus bereits seit Jahren wieder in der Linken kokettiert, nicht zuletzt von medienwirksamen Intellektuellen wie Slavoj Zizek oder Alain Badiou. Die dabei in Szene gesetzten Debatten wirken jedoch oft ebenso aufgesetzt wie aufgeblasen und beschwerlich genug, um sich nach einer schonungslosen situationistischen Kritik des verbalrevolutionären Spektakels zu sehnen. Umso erfreulicher ist es, dass es auch zu weniger prätentiösen und dafür greifbareren (gar "genuineren"?) Diskussionen kommt. In diesem Text sollen stellvertretend dafür drei jüngere Publikationen zum Thema betrachtet werden. Nie wieder Kommunismus? Die Anthologie Nie wieder Kommunismus? Zur linken Kritik an Stalinismus und Realsozialismus wurde 2012 von der Leipziger Gruppe INEX im Unrast-Verlag herausgegeben. Die Gruppe INEX beschreibt in der Einleitung, wie sie im Zuge einer Kritik der "ordnungsstaatlichen Funktionen der Extremismusformel" zu folgender Einsicht gelangte: "...durch die Zurückweisung der instrumentellen Anwendung einer totalitarismustheoretischen Perspektive zeigt sich umso mehr die Schwierigkeit, die DDR und andere realsozialistische Staaten kritisieren und sie vom Nationalsozialismus abgrenzen zu können". Folglich wird postuliert: "Wer heute vom Kommunismus redet, darf von Realsozialismus und Stalinismus nicht schweigen", und: "Der Verlockung, Kommunismus als abstrakte Idee zu behandeln, um ihn damit von seiner Geschichte abzuschneiden, sollte also nicht nachgegeben werden – schon weil die befreite Gesellschaft ohne ihre wirkliche Bewegung ein Traum bliebe." (S. 8f.) Die zwölf im Buch vereinten Texte beruhen zum größten Teil auf einer im Herbst 2010 unter dem Titel "Das Ende des Kommunismus: Zur linken Kritik am Stalinismus" organisierten Veranstaltungsreihe. Im ersten Beitrag identifiziert Christian Schmidt bereits in der Marxschen Theorie angelegte Probleme im Spannungsfeld von Wissenschaftlichkeit, Ideologie, Rationalität und Produktion. Die folgenden sieben Beiträge analysieren Probleme in der Geschichte der Sowjetunion (mit jeweils unterschiedlichem Fokus: Nationalismus, Institutionalisierung, Repression, Geschlechterverhältnisse) und der DDR (ökonomische Planung, staatlicher Antifaschismus und Fortschrittsgläubigkeit). Danach richtet sich die Aufmerksamkeit auf linke KritikerInnen des realsozialistischen Modells: Hendrik Wallat berichtet von rätekommunistischer und anarchistischer Kritik am bolschewistischen Modell, Sebastian Tränkle vom "Renegaten" Arthur Köstler und Alexis Kunze von der "Neuen Linken". Im Abschlussbeitrag reflektiert die Gruppe [pæris] auf die Umstände der bolschewistischen Revolution und versucht unter Berücksichtigung kritischer linker Analysen und Perspektiven Schlüsse für eine gegenwärtige politische Praxis zu ziehen: "Je eher man damit anfängt, eine ernsthafte Diskussion um Zwecke und Mittel einer Umgestaltung von Ökonomie und Gesellschaft zu führen, umso weniger muss man sich überraschen lassen oder auf guten Glauben setzen. Herrschaftlichen Lösungen, die mit der Dringlichkeit der Aufgabe begründet werden, kann nur etwas entgegengesetzt werden, wenn alternative Ansätze entwickelt sind und Erfahrungen damit bestehen." (S. 226) Die HerausgeberInnen beschreiben den "fragmentarischen Charakter" des Buches als "nur logisch" und fügen hinzu: "Es bestand … nie der Anspruch, die gesamtlinken Reflexionsprozesse auch nur annähernd widerzuspiegeln. Vielmehr muss der vorliegende Sammelband als ein kleiner Teil davon verstanden werden. Gelänge es mit der Lektüre des Buches weitergehende Auseinandersetzungen mit den Ursachen und Folgen von Stalinismus und Realsozialismus anzuregen, wäre schon viel gewonnen." (S. 15) Das erreicht das Buch alle Mal. Niemand mit Interesse an linker Kritik an Stalinismus und Realsozialismus wird es bereuen, in ihm zu blättern, auch wenn der allzu schnöselige Stil mancher AutorInnen (Autoren?) gelegentlich irritieren mag – doch erprobte LeserInnen linksradikaler Literatur sollten diesbezüglich nicht so leicht aus der Fassung zu bringen sein. Dass sich manche von bestimmten Texten mehr angesprochen fühlen werden als von anderen, ist bei der Bandbreite der Themen unvermeidlich – etwas nach ihrem Geschmack sollte für alle dabei sein. Was tun mit Kommunismus?! Ebenfalls im Unrast-Verlag erschien die 2013 von der "Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (SEK)" herausgegebene Anthologie Was tun mit Kommunismus?!. Diese ist dem INEX-Band sowohl konzeptuell als auch inhaltlich durchaus ähnlich. Die 19 Beiträge gehen in diesem Fall auf drei im Herbst 2011 organisierte Veranstaltungen zurück. In einem anregenden Vorwort erklären die HerausgeberInnen ihre Absichten so: "Die eigenständige kritische Aufarbeitung des Systems des sogenannten real-existierenden Sozialismus und seiner politisch-konzeptionellen, praktischen wie mentalen Voraussetzungen innerhalb der Linken selbst ist für uns die notwendige Voraussetzung und ein unumgänglicher Bestandteil einer erfolgreichen Suche nach emanzipatorischen Auswegen aus dem Kapitalismus." (S. 16) Zu den Veranstaltungen aufs Podium eingeladen wurden Menschen mit "politisch wie biografisch höchst unterschiedlichen Hintergründen, was einer kontroversen, aber ausgesprochen fairen Debatte zwischen BewegungsaktivistInnen und eher theoretisch Arbeitenden, zwischen Frauen und Männern, zwischen West und Ost keinen Abbruch tat. Das politische Spektrum reichte von linkssozialistischen Positionen in der PDL über 'traditionsbewusst-trotzkistische' VertreterInnen bis zu 'traditionsbewussten' AnarchistInnen." (S. 18) Die Unterschiede zum INEX-Band liegen in einer noch breiteren Themenauswahl (und damit auch einem größeren Umfang), in einer stärkeren Konzentration auf die DDR sowie in dem expliziten Anliegen, sich darüber auszutauschen, "welche emanzipatorischen Auswege aus dem Kapitalismus sich nach dem Scheitern des ' real existierenden Sozialismus' abzeichnen". (S. 18) Den Veranstaltungen entsprechend ist das Buch in drei Teile gegliedert: Teil 1, "Die Linke und der 'real existierende Sozialismus'", sammelt Erfahrungen und Reflexionen zum Verhältnis von westdeutschen Linken und linken ostdeutschen Oppositionellen zu den realsozialistischen Staaten. Ergänzt werden diese Erfahrungen und Reflexionen durch Überlegungen zum Verhältnis von libertären kommunistischen Idealen zu dogmatischen kommunistischen Staatsmodellen im Allgemeinen. Dass viele der Beiträge sehr persönlich gehalten sind, ist ein Plus. Die historischen Spannungen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Hoffnung und Möglichkeit, Ideal und Notwendigkeit werden dadurch deutlich und eindringlich geschildert. Teil 2, "Wie sozialistisch war der 'real existierende Sozialismus'?", beschäftigt sich mit dem politischen Vermächtnis der realsozialistischen Staaten, insbesondere der DDR. Wiederum stechen analytische Verarbeitungen persönlicher Erfahrungen hervor. Der Neuabdruck des 1990/91 von Helmut Bock verfassten Textes "Partei – Staat – bürokratische Kaste" ist eine große Bereicherung. Teil 3, "Raus aus dem Kapitalismus – aber wohin? Konkrete Utopien heute", besteht aus Beiträgen, die auf "konkrete Utopien" zwar nur selten zu sprechen kommen, von denen aber einige durchaus um konkrete Anknüpfungspunkte für eine (libertär-)kommunistische Politik der Gegenwart bemüht sind. Andere verzetteln sich eher in abstrakten als konkreten Debatten. Nichtsdestotrotz rundet der Teil ein insgesamt gelungenes und engagiertes Publikationsprojekt gebührend ab. Lob des Kommunismus 2.0 Das Buch Lob des Kommunismus 2.0 von Martin Birkner erschien Anfang 2014 in der Edition kritik & utopie des Wiener Mandelbaum-Verlags. Es unterscheidet sich von den zwei besprochenen Anthologien nicht nur als Einzelwerk, sondern auch in der inhaltlichen Ausrichtung: nicht die "untergegangenen sogenannten realen Sozialismen", denen der Autor "keine Träne" nachweint, stehen im Vordergrund, sondern – angespornt "vom Glauben an die Möglichkeit von Befreiung hier und jetzt" – ein zukünftiger Kommunismus. (S. 24/16) Der Begriff des Kommunismus ist Birkner wichtig, "gerade weil das Marxsche Versprechen sich uns nach wie vor uneingelöst stellt; zumal der Begriff mit all seinem historischen Gepäck nach wie vor eine provokative Wirkung entfaltet, die, wie ich zu zeigen hoffe, konstruktive Debatten über eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus eher fördert als verhindert." (S. 25) Auf historische Analyse verzichtet wird freilich nicht. Um die gesellschaftlichen Transformationsmöglichkeiten hinreichend zu erfassen, führt uns Birkner im Eiltempo (durchaus steuersicher) durch die wesentlichen Entwicklungsphasen des Kapitalismus hin zum postfordistischen Ist-Zustand. Wer die Arbeiten des Autors kennt, wird von den dabei offenbarten Affinitäten für den Operaismus, die Multitude oder die in Basisbewegungen verankerte konstituierende Macht nicht überrascht sein. Am Ende der genealogischen Skizze sehen wir uns mit "drei möglichen Zukunftsszenarien" konfrontiert: a) "Der Kapitalismus geht weiter … jedoch in zunehmend autoritäreren Formen." b) "Der Kapitalismus wird autoritär überwunden." c) "Die Bewegung des antiautoritären Kommunismus." (S. 100f.) Birkner spricht davon, dass seine "ganze Herangehensweise" von einem "Blick auf die existierende Möglichkeit von Befreiung gespeist" sei, stellt jedoch klar: "Dies bedeutet nicht, dass sich ohne unser Zutun oder auch nur mit größerer Wahrscheinlichkeit diese neue Gesellschaftsordnung durchsetzt, sehr wohl aber, dass sie sich nur durchsetzen lässt, wenn wir an positiven Vergesellschaftungsexperimenten und Kampferfahrungen anknüpfen..." (S. 16f.) Es geht um einen Einsatz "für das Einfache, das schwer zu machen ist". (S. 105) In diesem Kontext werden eine Reihe wichtiger Ideen zu Bündnispolitik, alternativen Wirtschaftsformen, den Commons und linker Offensive formuliert. Es gelingt Birkner, einige der einfachen Sachen, die so schwierig sind, auf den Punkt zu bringen, etwa wenn es um das Verhältnis von individuellen und kollektiven Politikansätzen geht: "Der Übergang zu einer ökologischen post-kapitalistischen Produktionsweise muss sowohl auf kollektiven Kämpfen als auch auf einer Transformation der individuellen Lebensweise beruhen – zumal in den Metropolen. Das bedeutet, dass die Transformation sowohl ein politischer als auch ein ethischer Prozess ist, in dem kollektives Handeln und individuelle Verantwortung nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sich aufeinander beziehen und untrennbar zur Geltung kommen. Weder eine individuelle Veränderung des Konsumverhaltens noch der Verweis auf kommende gesellschaftliche Zustände 'nach der Revolution' sind brauchbare kommunistische Strategien. Vielmehr bedarf es einer kollektiven und individuellen Verantwortungsethik, die sich aus den Praxen und Diskussionen sozialer Bewegungen speist und dennoch das Individuum diesen nicht nachordnet." (S. 82) Lob des Kommunismus 2.0 ist ein erfrischendes und motivierendes Buch, das bei aller theoretischen Dichte immer gut lesbar bleibt. Diskussionen über eine bessere – kommunistische – Welt und den Weg dorthin können von ihm nur profitieren. Schluss Alle drei der hier vorgestellten Bücher leisten wichtige Beiträge zu einer Auseinandersetzung mit kommunistischer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Fortsetzung der Debatte sollte meines Erachtens folgenden Fragen besondere Beachtung schenken: - Welche Kraft hat der Begriff des Kommunismus in der Mobilisierung sozialer Bewegungen? - Wie verhält sich der Kommunismus als "wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt" (dieses Marx/Engels-Zitat wird erwartungsgemäß in allen Büchern bemüht) zu der Anforderung, Alternativen zum Kapitalismus inhaltlich aufzufüllen und nicht nur rhetorisch zu postulieren? - Wie verhält sich der zukünftige Kommunismus zu Realsozialismus und Realkapitalismus? Platt gefragt: Sind StalinistInnen verirrte GenossInnen oder gar keine? Sind bürgerliche Demokraten in erster Linie Bürger oder Demokraten? Fertige Antworten werden freilich nicht erwartet. Gute Diskussionen nehmen kein Ende. Auch nicht im Kommunismus.
gk --- Gruppe INEX (Hg.), Nie wieder Kommunismus? Zur linken Kritik an Stalinismus und Realsozialismus (Münster: Unrast, 2012). Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (SEK), Was tun mit Kommunismus?! Kapitalismus – 'Real existierender Sozialismus' – Konkrete Utopien heute (Münster: Unrast, 2013). Martin Birkner, Lob des Kommunismus 2.0 (Wien: Mandelbaum kritik & utopie, 2014).
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