Ingo Talers Out of Step. Hardcore-Punk zwischen Rollback und neonazistischer Adaption hätte durchaus mit einem anspruchsvolleren Titel auftreten können. Hier wird nicht nur den (extrem) rechten Strömungen in der Hardcore-Punk-Szene nachgegangen, sondern gleichzeitig eine 300-seitige politische Geschichte des Hardcore präsentiert. Das Buch ist vorbildlich recherchiert, besticht mit detaillierter Information und bleibt bei all dem gut lesbar. Sehr erfreulich, dass sich Taler nicht nur auf die explizit rechten Hardcore-Adaptionen, etwa White Power Hardcore oder National Socialist Hardcore, konzentriert, sondern auch die regressiven Tendenzen in der Hardcore-Szene im Allgemeinen thematisiert: Männlichkeitsideale, die latente oder gar offene Homophobie, aber auch den kommerziellen Ausverkauf. In manchen Fällen – etwa bei Bands wie Rage Against the Machine oder NOFX – mag sich die eigene Wahrnehmung von der Kritik Talers unterscheiden, doch tut dies nichts zur Sache. Ein waches politisches Auge, das sich auch durch Verweise auf „Spaß“, „Satire“, „Provokation“ oder „Kontextgebundenheit“ nicht ablenken lässt, ist wichtig. Taler scheut sich auch nicht, einigen der etabliertesten deutschen Hardcore-Fanzines auf die Zehen zu steigen – es bleibt abzuwarten, wie darauf reagiert wird.
Im „Epilog“ des Buches fasst Taler seine Absicht noch einmal zusammen: „Nur durch die permanente Auseinandersetzung mit Ideologien und Strategien rechter Strömungen, durch die Vernetzung der Informationen und durch die Einhaltung von Grundsätzen im Umgang mit ehemaligen Neonazis oder vermeintlichen Aussteigern aus der Neonazi-Szene, lässt sich der Einfluss der Anhänger der extremen Rechten abwehren und zurückdrängen. Die Aufarbeitung der Geschichte der HC-Punk-Szene spielt dabei eine zentrale Rolle. […] Es gilt soziale Räume zu verteidigen, Diskriminierungen und Männlichkeitswahn zu stoppen. Mit diesem Buch soll eine Debatte gefördert werden, in der Hoffnung die antifaschistischen Teile der HC-Punk-Szene zu ermutigen, sich zu organisieren, um den Einfluss[,] den die Rechten und die Verharmloser zum Teil schon haben, entgegen zu treten.“ (309) Dem ist nur zuzustimmen, wobei sich vielleicht zwei Punkte hinzufügen lassen: 1. Wir können nicht von allen Kids, die sich für Hardcore interessieren oder begeistern, erwarten, gründliche Geschichtsstudien zu betreiben oder jede Band einer tiefgehenden politischen Analyse zu unterziehen. Die Verantwortung kommt hier wohl vor allem Labels, Promotern und den einflussreichen Szene-Publikationen zu. 2. Wie in jedem gesellschaftlichen Bereich darf sich antifaschistische Arbeit auch im Hardcore nicht alleine auf Abwehrkämpfe konzentrieren. Wir sind gefordert, die Szene so zu gestalten, dass rechte Tendenzen gar nicht erst Fuß fassen können. Das bedeutet eine Stärkung der Offenheit, Solidarität, Selbstbestimmung, Vielfalt und Wärme, welche die Hardcore-Szene immer (auch) ausgezeichnet haben.
Out of Step ist ein Muss für linke Hardcore-Fans und eine unverzichtbare Quellengrundlage für jede antifaschistische Forschung zur Hardcore-Punk-Kultur.
gk
(Juli 2012)
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